Silvester 2004. Ein Protokoll.

Freitag, 31. Dezember 2004

9:12 Uhr
Meine Mitbewohnerin ist bereits wach. Schön. Ich hasse sie dafür. Will weiter schlafen.

11:24 Uhr
Na gut. Kurz aufstehen. Ich stelle den am Abend zuvor geschriebenen Jahresendzeitfragebogen 2004 online. Und gehe wieder ins Bett.

12:16 Uhr
Mehr als eine halbe Stunde Schlaf gelingt mir nicht am Stück. Ich lasse die Welt an meiner Planlosigkeit für die Nacht teilhaben.

12:33 Uhr
Ich entdecke das Spendenformular von UNICEF via LawBlog und tue endlich, was ich seit Tagen vor mir herschiebe. 50 Euro tun nicht weh, helfen vielleicht ein bisschen und erleichtern mein Gewissen, so dass ich fortan böse Witze machen kann.

14:49 Uhr
Flutartig (Oh, ist das politisch korrekt?) ergießen sich Einladungen in meine Mailbox. Ich aber merke davon nichts. Ich liege wieder im Bett. Stehe nur ab und zu auf, um aus dem Fenster zu sehen oder das WC zu frequentieren.

16:09 Uhr
Ich beschließe, das Bett nun endgültig zu verlassen und beginne mit der Abendplanung sowie den dafür notwendigen Anrufen. Am Ende stehen vier Parties auf der Liste, die sich vielversprechend anhören.

17:12 Uhr
Ich gleite in viel zu heißes Badewasser und lasse mich ein wenig treiben.

17:54 Uhr
Zehn Zentimeter kleiner, dafür aber frisch rasiert entsteige ich dem Bad und lande im MDR, wo gerade der Schlusssatz von Beethovens Neunter läuft. Anlage am Anschlag. Gänsehaut. Gute Laune.

18:42 Uhr
Das Beauty-Programm beginnt. Feilen hier, Hobeln dort, Maske da, Deo ganz woanders. Nach zwei Stunden wäre es weit untertrieben, mich gut aussehend zu nennen. Diese Nacht wird mir gehören.

21:34 Uhr
Ladehemmung. Keine Lust, den bequemen Sessel zu verlassen. Das Fernsehprogramm ist lustig. Das Bett verführerisch.

22:21 Uhr
Quatsch, was soll das? Ab in die Nacht. Erste Station ist eine kleine Wohnung in der Simon-Dach-Straße, Friedrichshain. Ich mag die Parties dort so gern. Wunderbar entspannte und freundliche Menschen. Alkohol in übersichtlichen Mengen. Musik von Ganz dunkel bis Udo Jürgens. Dass es heute dort eine Party geben würde, steht erst seit drei Stunden fest. Entsprechend frequentiert ist das Parkett. Aber es sind nette Leute. Ich bleibe.

23:32 Uhr
Ich muss was essen.

23:37 Uhr
Eine attraktive Fotografie-Studentin in der Küche. Ich auch. Ich verwickle sie ins Gespräch, während ich Quark-Brote herstelle.

23:48 Uhr
Wer anders will sie auch verwickeln. Ich markiere mein Revier. Er ergibt sich und verschwindet.

23:59:50 Uhr
Unvermittelt – mitten im Gespräch mit der Fotografie-Studentin – fangen die Leute nebenan an, einen Countdown zu zählen. Wir nehmen das am Rande wahr, ich beiße noch einmal in mein Quark-Brot.


Samstag, 01. Januar 2005

0:00 Uhr
Etwas hilflos stehen die Fotografie-Studentin und ich in der Küche. Dann stoßen wir an. Mit einer Tasse Tee und einem Quark-Brot.

0:02 Uhr
Inzwischen habe ich einen Eierbecher gefunden und mit Sekt befüllt. Ich gehe jetzt Frauen drücken, um ihnen ein frohes neues Jahr zu wünschen.

0:04 Uhr
Die Männer wollen leider auch gedrückt werden. Ich bin kompromissfähig.

0:12 Uhr
Die Simon-Dach-Straße versinkt im Böller-Rauch. Selten sah ich so engagierte Knall-Proleten. Nichts ist vor ihren Angriffen sicher. Passanten nicht und Autos noch weniger. Wir beschließen, das Treiben ausschließlich am Fenster zu beobachten.

0:21 Uhr
Ich versuche ein weiteres Gespräch mit der Fotografie-Studentin, spüre Desinteresse und überlasse sie ihrem trockenen Husten.

0:34 Uhr
Neben und Aufregung legen sich. In der Anlage spielt Udo Jürgens. "Und immer immer wieder geht die Sonne auf" singe ich aus voller Kehle und tanze dazu den Tanz meines Lebens. Erst später geht mir auf, dass mich die Damen nunmehr für schwul halten.

0:46 Uhr
Etwas unscheinbar saß sie den ganzen Abend in der Ecke. Nun sitze ich neben ihr. Und wir kommen ins Gespräch. Mal wieder eine Airline-Mitarbeiterinnen. Kommt ja öfter vor seit einem Jahr. Sie ist die Preismacherin dort. Erhöht und senkt die Ticket-Raten je nach Auslastung. Ich lausche ihr gern. Und verbringe des Rest der Nacht weitgehend an ihrer Seite.

2:13 Uhr
Auflösungserscheinungen. Ein Teil der Gäste bricht auf zu einem Laden in Mitte. Pfeffer-Dingsbums. Ich kann mir den Namen nicht merken. 50 Leute warten bereits vor der Tür auf Einlass. Wir drängeln uns vor. Aufgrund unseres freundlichen Wesens und der Tatsache, dass ich Bonbons verteile, nimmt uns das niemand krumm.

2:58 Uhr
Wir sind drin. Elektromusik. Verschwitzte Menschen. Laut. Ich habe kein Ohropax dabei und drehe mir selbst welche. Eine weise Entscheidung, wie sich Stunden später herausstellt.

3:06 Uhr
Ich beobachte den DJ, bin beeindruckt, wie er die Massen im Griff hat, sie treibt, zu Ruhe kommen lässt, wieder aufputscht. Ein schönes Spiel.

3:19 Uhr
Nebenbuhler aus allen Richtungen. Eine Freundin weist mich darauf hin, dass ich nur einer von drei Typen bin, die sich um die Preismacherin reißen. Sie fragt provokant "Na? Wer gewinnt?" In dieser Nacht ist mein Ego unangreifbar. Während die Preismacherin im Gespräch ist, stelle ich mich hinter sie. Ganz nah. Sie bemerkt es, wendet sich von Kandidat #2 ab und mit zu.

3:44 Uhr
Kandidat #3 gesellt sich hinzu. Das Gespräch stirbt. Ich lächle süffisant und siegesgewiss.

4:52 Uhr
Wir bemerken auf der Säule, an der wir lehnen, auf Schulterhöhe eine Pfütze. Ich realisiere, dass es sich um Kondenswasser aus der Atemluft handelt, das die Säule herabläuft und bin froh, um die Sagrotan-Tücher in meiner Tasche zu wissen.

5:33 Uhr
Ich will den DJ noch ein wenig beobachten. Man kann aber nicht mehr bis rüber schauen. Nach drei Metern versinkt der Blick in undurchdringbaren Rauchschwaden.

6:05 Uhr
Die Kandidaten #2 und #3 haben aufgegeben. Die Preismacherin und ich sitzen auf einer Couch, zwischen uns tropft Kondenswasser von der Decke. Wir haben kaum noch Stimme. Aufgrund der Lautstärke im Club haben wir uns in den zurückliegenden Stunden nur angeschrien. Wenn auch höchst unterhaltsam. Wir steigen nun auf nonverbale Kommunikation um und unterhalten uns via Handy-Display.

Irgendwann schreibe ich: "Mit wem gehst Du eigentlich am Sonntag frühstücken?" Sie antwortet: "Mit Dir?" Darauf ich: "Coole Idee, hätte von mir sein können. Einverstanden."

Nachdem Sie mich eine Nacht lang von meinen übelsten Seiten erlebt hat – komisches Tanzen, Zoten ohne Ende, Sexismus bis zum Abwinken, Lästerei bis Dorthinaus –, ist sie dazu noch bereit. Sie ist entweder vollkommen betrunken oder hat mich ein bisschen verstanden. Trunkenheit fällt aus. Wir beide haben die ganze Nacht nur an Wasser genippt.

6:22 Uhr
Die Preismacherin und ich gehen unter sehr durchwachsenen Blicken der Zurückbleibenden. Kandidat #2 sagt "Es gehören immer zwei dazu", was ich zunächst nicht verstehe – ich bin in zwischenmännlichen Ritualen extrem unerfahren – und später als wohlwollende Überlassungsgeste gerührt zur Kenntnis nehme.

6:37 Uhr
Ich habe Hunger. Am Hackeschen Markt kehren wir in eine Bagel-Bude ein. Sie trinkt Kaffee, ich esse. Sie gibt mir zu verstehen, dass ich scheintot aussehe. Und auch wirke. Wahrscheinlich hat sie Recht. Ich brauche ein Bett.

6:52 Uhr
Sie setzt mich zu Hause ab. Ich verzichte zum Abschied auf jede körperliche Geste, nehme jedoch wohlwollend zur Kenntnis, dass sie kurz mein Knie streichelt. Ich will nicht vorpreschen. Ich mag dieses Mädchen auf den ersten Blick wirklich sehr gern. Auch keine klassische Gute-Nacht-SMS. Einfach Stille. Wir sehen uns Sonntag.

7:03 Uhr
Ich stehe vor der Frage Elmex oder Aronal und sinke, nachdem ich die Problematik der Weltöffentlichkeit kundgetan habe, zufrieden in mein Bett.

13:39 Uhr
Ich erwache widerwillig und hänge anderthalb Stunden am Telefon. Die Mutter meiner Patenkinder erklärt mir die Wirkung von Aronal und Elmex und bestätigt mich in meinem Entschluss. Elmex. Ihre Begründung lautet wie die von Beat. Verschwörung?

19:12 Uhr
Charlottenburg. Essen, endlich essen. Eine Freundin kocht für mich. Ich bin sehr zufrieden mit der Gesamtsituation. 2005 wird ein Superjahr.


Bonus-Content: Die Bilder der Nacht


Als die Jahre wechseln, habe ich nur ein Quark-Brot zur Hand. Also wird damit angestoßen.


Die Simon-Dach-Straße versinkt in Rauchschwaden. Mit Reis hat niemand geworfen.


Desorientierte junge Menschen im Eingansbereich des Clubs.


Anfangs kann ich den DJ noch beobachten.


Stunden später sieht man nichts mehr.


Menschen verschwinden im Nebel.


Die Preismacherin tritt aus ihm hervor.


Unser erstes Gemeinsames Foto. Im Schattenspiel einer Beamer-Projektion.


Kondenswasser der Atemluft rinnt die Wände herunter.


12:32 Uhr von sebasLink3x mitgegeplaudertMitplaudern






 
2005 wird ein Superjahr.

Du hast's mir versprochen - ich werd Dich in 363 Tagen dran erinnern. ;-)

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Zehn Zentimeter kleiner, dafür aber frisch rasiert entsteige ich dem Bad

Was, um Himmels Willen, haben Sie da abrasiert?

(Frohes neues Jahr auch!)

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Ha, da haben Sie jetzt glatt eine von mir so nicht beabsichtigte Kausalität hergestellt. Der Hitze wegen bin ich beim Bade eingelaufen. Rasiert habe ich mich unabhängig davon. Und auch Ihnen nur das Beste für das Neue.

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