Schaaaaahhhh-nett - Schaaaaahhhh-nett

Man gehört als Freund der Sangeskünstlerin Jeanette nicht eben zu einer gesellschaftlich positiv sanktionierten Zielgruppe. Das hielt Moppelchen und mich nicht davon ab, schon vor Monaten Karten für ihr Konzert in Berlin zu kaufen. Ihre Zeit an der Pinnwand war gestern abgelaufen.

Den Zug nach Berlin bekam ich noch knapp. Ich hatte wirklich Angst, ich könnte zu spät kommen. Und das, obwohl Moppelchen schon leicht zähneknirschend festgestellt hatte, das bereits ab 18 Uhr Einlass sei und die Wahrscheinlichkeit somit gering, dass wir uns einen Platz in der ersten Reihe erkämpfen.

Ich will jetzt mal nicht darauf eingehen, dass sie es dann war, die sich verspätete, sondern mich auf die wichtigen Fakten beschränken. Zum Beispiel darauf, dass sie trotz Verspätung hungrig war und noch eine Curry-Wurst essen musste. Ich nutzte die Gelegenheit für Pommes. Die waren salzig und ich in der Folge durstig.

Im Bus sprach ich die Frau vor uns an, ob sie nicht etwas zu trinken hätte. Moppelchen war das sehr unangenehm. Der Frau und mir nicht. Sie hatte nämlich. Und gab mir eine Flasche Fruchtsaft. Das fand ich sehr nett.

Sie wollte aber im Gegenzug nichts haben. Selbst als ich ihr zur Lektüre den SPIEGEL anbot, lehnte sie ab. Sie habe auch zu Hause keine Spiegel. Die würden beim Reinschauen immer zerbrechen. Wir waren in Treptow.

Erwähnt werden sollte auch die alte Frau, die im Bus herumlief und auf die Autofahrer schimpfte. "Alle platt machen" brabbelte sie immer wieder. Ich spürte da unterschwellige Aggressionen. Trotz der zwei Blümchen, die sie im Arm trug.

Dem Bus entsprungen sprangen wir durch's Gebüsch – wie wahre Fans, die schnell zum Einlass wollten. An der Halle war dann die alte Auto-Plattmacherin wieder da. Wir hörten nur, wie sie den Security-Mann am Seiteneingang anbrüllte, dass sie natürlich Karten haben. "Die hat sie mir ja geschickt." Hmmm. Jetzt ergaben auch die Blümchen in ihrem Arm Sinn.

In der Halle traf ich dann bekannte Menschen, die ich dort nie erwartet hätte. Selbst eine alte Mitschülerin, die ich seit 10 Jahren nicht gesehen hatte. Und Cherno Jobatey. Den aber erst nach dem Konzert, telefonierend vor der Garderobe.

An der Garderobe waren auch die Toiletten, die ich zunächst mal besuchte. Neben mir ein Typ, der ohne jede Scheu meine Ausstattung in Augenschein nahm. Das mag ich nicht. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Männlichkeit und kann es nicht leiden, wenn jemand ungefragt da rauf starrt.

Interessant bis bizarr war das Publikum. Natürlich viele kleine Mädchen mit konzentriert gelangweilt schauenden Papas. Ein paar Teenies. Was man eben so erwartet. Unerwartet jedoch war die große Fraktion der jungen Männer zwischen Mitte 20 und Anfang 30, die während des gesamten Konzertes regungslos da standen und auf die Bühne starrten.

Moppelchen vermutete, dass sie sich wegen ihres Ständers nicht bewegen könnten. Ich halte das für eine plausible Erklärung.

Ohnehin waren wir ständig von Autisten umgeben, die so gar keine Party-Laune verströmten. Die hysterisch kreischenden Fans, zu denen wir uns gern gesellt hätten standen immer irgendwoanders. Jene, die am Anfang so liebevoll " Schaaaaahhhh-nett - Schaaaaahhhh-nett - Schaaaaahhhh-nett" riefen und mir klar machten, dass dieser Name sich für Sprechchöre nicht eignet.

Ja, zu diesen Hardcore-Fans wollten wir. Aber Jeanette-Konzert-Besucher schätzen es nicht besonders, wenn man sich nach vorn zu drängeln versucht. Also machen wir inmitten der Autisten und Bewegungs-Legastheniker unsere Party.

Das Konzert war richtig nett. Wenn Jeanette singen könnte oder intelligent wäre, ja dann wäre sie eine richtig große Nummer.


01:18 Uhr von sebasLink | 0 Kommentare | Mitplaudern